Montag, 29. Mai 2006

Von Villafranca del Bierzo nach O Cebreiro Camino duro – der harte Weg 30,050 km – 42.942 Schritte – 2.676 k/cal

Unsere heutige Etappe wird in einschlägiger Lektüre über den Jakobsweg als eine der härtesten und anstrengendsten bezeichnet.

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Gleich am Anfang machen wir neue Bekanntschaften. Ein Forstfachwirt aus Kanada erklärt uns anhand der Ringe das Alter eines jeden am Wegesrand liegenden Baumstammstapels ( und noch viel mehr ). Zwei Brüder aus Hamburg starten hier in Villafranca del Bierzo. Einer von beiden erzählt uns, dass er seit acht Jahren für eine deutsch-amerikanische Firma in Barcelona tätig ist. Beide pilgern hier seit Jahren, jeweils für eine Woche, der Urlaub reicht nicht für mehr. Die ersten Kilometer des von Asphalt zugeschütteten Weges führen am Rande einer vielbefahrenen Strasse entlang. Nach zwei Stunden erreichen wir den Ort Trabadelo. Wir machen eine erste Pause. Eine junge Japanerin, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt, geht an mir vorbei. Ich grüße sie mit einem herzlichen „ Buen Camino“ worauf sie sich mehrere male mit vor ihrem Körper zusammengeschlagenen Händen vor mir verbeugt und mir freundlich zulächelt. Ich bin erstaunt und überrascht über diese freundliche Geste. Später – beim steilen Aufstieg nach O Cebreiro sehen wir uns wieder. Sie grüßt wieder herzlich, ist schneller als wir. Sollten wir uns am Abend erneut treffen, würde ich gern mehr über sie und ihre Beweggründe, allein auf dem Camino zu pilgern , erfahren.

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Der Weg wird schwieriger. Wir fragen uns, wie der heilige Jakobus diese Steigungen bezwungen hat, so wie wir das heute müssen. Wie lange hat er trainiert, rätseln wir. Neun Kilometer ununterbrochen bergauf, von 620 auf 1250 m auf grob gepflasterten Pilgerweg, wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit den Füßen umknicken. Heute überschreiten wir auch die Grenze nach Galicien, ein moderner Grenzstein mit Wappen weist uns darauf hin. Hier in Galicien beginnen die Entfernungsangaben für Santiago, jeder Kilometerstein markiert einen Kilometer weniger bis zum Pilgerziel, an der Regionsgrenze sind es 152,500 km. Fast zu kurz kommen die Blicke in die herrliche Landschaft Galiciens mit den kleinen Bergdörfern, den grünen Tälern und den rotbewaldeten Bergen.

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Völlig erschöpft kommen wir in O Cebreiro an. Die geplante Übernachtung in einem ehemaligen Kloster ist nur für einen von uns möglich, die zweite Schlafstelle aber auch nur 50 m entfernt. Wir essen noch eine Kleinigkeit und verabreden uns zum morgigen Frühstück. Ich liege kaum im Bett, höre ich draußen merkwürdige Geräusche. Ich sehe aus dem kleinen Fenster meines Zimmers. Der ganze Ort ist plötzlich im Nebel versunken, der aufkommende Sturm treibt die Nebelschwaden durch die Gegend. Es sieht aus als ob es sich um einen Schneesturm handelt. Ich ziehe mich an und gehe vor die Tür. Schnell schlage ich die Tür wieder zu. Die Temperatur ist innerhalb von Minuten von 28 auf 12 Grad gesunken. Darauf bin ich nicht vorbereitet.

Dienstag, 30. Mai 2006

Von O Cebreiro nach Triacastela Grünes Bergland von Galicien 24,120 km – 34.465 Schritte – 2.148 k/cal

Überraschung am Morgen. Wir wollen frühstücken, aber wieder einmal ist niemand zu sehen. Alle Türen im Haus sind verschlossen. Ich finde einen Hinterausgang im Untergeschoss, schließe eine Tür auf und stehe im Garten des ehemaligen Klosters. Frühstück gibt es anscheinend keines, auch finden wir niemanden, bei dem wir unsere Übernachtungskosten bezahlen können. Was ist zu tun ? Ich sprechen eine Engländerin an, die mich zum Besitzer eines nahe liegenden Cafes führt. Anscheinend gehört ihm auch das ehemalige Kloster. Wir bezahlen bei ihm, er händigt uns unsere Ausweise aus. Endlich können wir losgehen, wenn auch ohne Frühstück.

Der Morgen ist kühl, die Luft ist klar. Schnell mache ich noch ein paar Aufnahmen in O Cebreiro, einem echten Bergdorf mit den hier traditionellen Pallozas, den runden oder elliptischen Steinbauten aus Naturstein, über die sich ein hölzener Dachstuhl mit weit heruntergezogenem Strohdach wölbt. Am Ortsausgang noch ein letzter Ausblick über die grünen Berge und Täler von Galicien, dann erreichen wir eine Teerstrasse, die nur durch eine weiße Trennlinie von unserem Pfad getrennt ist. Nach kurzem Weg treffen wir ein Ehepaar aus Dresden, er 70, sie 65 Jahre alt. Mit der Frau unterhalte ich mich auf den nächsten zehn Kilometern. Sie erzählt mir von Klettererlebnissen in ihrer DDR - Jugendzeit an den Steilwänden der Sächsischen Schweiz, von ihren Bespitzelungen und Vernehmungen durch die Stasi und der Einsichtnahme ihrer Akten bei der Gauck-Behörde, wobei sich herausstellte, dass Freunde und Nachbarn regelmäßig Berichte über sie gefertigt hatten. Ganz nebenbei erfahre ich, dass die Beiden seit dem 2. Mai auf dem Camino unterwegs sind, Startort war St-Jean-de-Pied in den Pyrenäen. Am Ende des Weges werden sie etwa 800 Kilometer erreicht haben. Hut ab vor dieser Leistung !

In Triacastela angekommen frage ich nach dem Weg zur Casa David, unserer heutigen Unterkunft. Plötzlich stehen die beiden Brüder aus Hamburg vor uns, zeigen uns den Weg. Sie haben die gleiche Bleibe. Freundlich empfängt uns hier der Hausherr, weist uns ausgezeichnete Zimmer zu und lädt uns am Abend in ein Bar ein, die – wie sollte es anders sein - seine eigene ist. Der Zufall will es, dass auch die 2 Hamburger Jungs hier auftauchen. Wir erleben zusammen mit unserem Gastgeber und Barbesitzer einen feucht-fröhlichen Abend. Eigentlich nicht angebracht bei den Strapazen, aber man muss auch mal über seinen Schatten springen können !

Bilder vom Tage :

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Mittwoch, 31.Mai 2006

Von Triacastela nach Sarria Es grünt so grün ...... 21,070 km – 30.109 Schritte – 1.876 k/cal

Herzlich ist die Verabschiedung von unserm „Chef“ , so nennen wir ihn seit gestern Abend. Wir geben uns die Hände, klopfen uns auf die Schultern und weiter geht´s. Nach wenigen Minuten taucht der „Chef“ urplötzlich hinter uns auf. Ich habe mein Halstuch, dass ich zum Schutz gegen die Sonne trage und meinen Hut vergessen – er bringt mir beides hinterher. Ich habe das Gefühl, dass er uns noch gern ein paar Tage bei sich haben würde.

Leicht soll sie sein, unsere 18. Etappe. Doch zunächst geht es über mittelschwere Wege und alte Verbindungsfurten, die hauptsächlich dem Viehtrieb dienen. Während einer Pause an einer Wasserquelle auf etwa halber Strecke bekommen wir plötzlich Besuch von einer Hundemeute, begleitet von einer älteren Frau, die mit den Tieren über die Felder zieht.

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Wenig später dirigieren andere Hunde eine ganze Heerschar von Kühen über die weitläufigen Wiesenwege. Wir gehen durch kleine traditionelle galicische Bauerndörfer, über grüne Hügel und kommen an einem großen Pilgerbrunnen mit Wasserbecken und einer Steinbank ringsherum . Grüne Weiden, grüne Felder und Wiesen, grüner Wald begleiten uns fast den ganzen Tag.

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Früher als an den vorherigen Tagen kommen wir in unserer heutigen Unterkunft an. Duschen, Wäsche waschen, Füße pflegen, etwas Essen gehen und dabei Tagebuch schreiben, eineinhalb Liter Agua Mineral trinken und vor dem zu Bett gehen noch schnell in den Verlauf der morgigen Etappe einlesen.

Also, bis morgen früh.

Donnerstag, 1. Juni 2006

Von Sarria nach Portomarin Land der Corredoiras 23,450 km – 33.508 Schritte – 2.088 k/cal

Wir treffen uns um acht Uhr, bestellen wie immer unser „desayuno“. Aber heute versteht uns niemand. So bietet man mir anstelle einer aufmunternden Tasse Kaffee ein Glas Orangensaft an. Die zwei kleinen Scheiben getoastetes Weißbrot und etwas Butter müssen wir uns teilen. Es scheint heute alles anders als sonst zu sein in Spanien. Im Fernsehen wird auf allen Kanälen von einer Frau berichtet, die anscheinend plötzlich schwer erkrankt und in ein Madrider Hospital eingeliefert wurde. Wir gehen trotzdem los. Manfred meint, wir sind nur noch ein Schatten unserer selbst, ich halte dies im Foto fest. Nach kurzer Zeit werden wir von einer Kuhherde gekreuzt, die von einer Bäuerin und 2 Hunden auf dem Weg gehalten wird.

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Wenig später begegnen wir einem Italiener, der seinen kleinen, höchsten 3 Jahre alten „Giovanni“ mit auf Pilgerschaft hat. Er bittet mich, ein Foto von ihnen zu machen. Ich frage, ob ich Gleiches tun darf. Nach einem freundlichen „si“ habe ich das Bild schnell im Speicher. Unterwegs sehen wir erstmals ungewöhnliche kleine Gebäude, die auf Stelzen, Betonsockeln oder ähnlichen Unterbauten stehen. Wir rätseln nach dem Sinn und Zweck dieser Häuschen. Erst am Abend erfahren wir es. Es sind „horreos“, Maisspeicher, schmale und längliche Kästen mit durchbrochenen Wänden , die Luft hereinlassen und so das Schimmeln verhindern – in der feuchten Luft Galiciens wäre der Mais sonst bald verdorben. Würden sie nicht auf Stelzen stehen gelängen Mäuse durch die Spalten, verrät man uns.

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Punkt zwölf Uhr erreichen wir Mogade. Ab hier sind es noch 100 Kilometer bis Santiago de Compostela. Ich fotografiere den verschandelten Stein, der auf diese Entfernung hinweist. Im Ort selbst pausieren wir für ein par Minuten in der Bar „Morgade“. Wir besuchen eine Totenstätte. Eine Irländerin, die jetzt in den USA wohnt pflegt am Wegesrand ihre zerschundenen Füße. Ich darf sie ( die Füße) fotografieren. Wir kommen an einem Schuppen mit alten landwirtschaftlichen Utensilien vorbei. Weil er uns Schatten gibt, pausieren wir erneut. Eine italienische Pfadfindergruppe geht an uns vorbei, wenig später nehmen 2 Frauen aus Italien neben uns Platz. Auch sie genießen die Pause in dem Schatten spendenden Schuppen. Wir unterhalten uns über Rocco Granata, Giana Nanini, Andrea Bocelli und Silvio Berlusconi

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Dann erscheint endlich Portomarin vor uns. Ein Ort mit eleganten Häusern, einen Fluss, dessen Bett auch einen See vermuten lassen kann. Ich erfahre, dass der alte Ort Portomarin 1962 einem Stausee weichen musste und an jetziger Stelle wieder neu errichtet wurde. Dabei hat man in akribischer Kleinarbeit die wichtigsten Bauten des Ortes abgetragen und neu aufgebaut. Unter anderem auch die zusammenhanglos in die Landschaft gestellte Treppe, die auch wir benutzen müssen, um in den Ort hinein zu kommen. Ein Blick auf das Thermometer zeigt beim Erreichen unserer Unterkunft angenehme 25 Grad und einen blauen Himmel mit leichtem Wind. Weiter so, denken wir. Bevor wir unsere Unterkunft erreichen, treffen wir das Ehepaar aus Dresden wieder. Wir tauschen uns kurz aus und wünschen uns gegenseitig alles gute für den Rest des Weges, in der Hoffnung, uns noch einmal wieder zu sehen.

Abends sehe ich im Fernsehen, dass vormittags um elf Uhr Rocio Jurado gestorben ist. Unglaublich, auf allen Fernsehkanälen wird über sie berichtet, Ausschnitte aus TV-Sendungen und Interviews mit ihr gezeigt. Ich erfahre auch, dass sie Spanien´s beliebteste Entertainerin war und mit Auftritten u.a. in Las Vegas und New York große Anerkennung gefunden hat.