Freitag, 2.Juni 2006

Von Portomarin nach Palas de Rei Granit und Cruzeiros 26,400 km – 37.722 Schritte – 2,351 k/cal

Heute haben wir ein letztes mal schweißtreibende Höhen und Hügel zu überwinden, bis wir dann endlich das sanft gewellte Tiefland Galicens erreichen werden. Jetzt haben wir 400 Kilometer Pilgerweg hinter uns gebracht. Das erste steile Stück des Weges ist kurz, das Gelände wird anschließend flach, wir pilgern vorbei an Wiesen und Feldern, gehen durch die armseligen Orte Toxibo und Gonzar nach Castromaior. Hier sehen wir am Ortsende eine Bar und machen eine kurze Pause. Erneut folgt ein steiler Anstieg, für die etwa fünf Kilometer bergauf benötigen wir fast neunzig Minuten. Eine enorm lange Zeit für uns. Aber die Hitze hat ihre Tücken, sie ist erneut nahezu unerträglich. Endlich am höchsten Punkt, in Ventas de Naron, angekommen, passieren wir einen Picknickplatz mit einem kleinen Brunnen, der von frischem Quellwasser gespeist wird. Ich fülle meine seit Stunden leere Wasserflasche auf und kühle Kopf und Arme mit dem erfrischenden Nass. Wir gehen weiter, treffen eine junge Amerikanerin, die in einem mit Was ser gefüllten Betonbecken ihre Wandersocken wäscht. Diese Becken sind in hier üblich. Sie dienen den Einheimischen zum Waschen ihrer gesamten Wäsche. Sie bittet mich, ein Foto von ihr zu machen, ich darf auch sie fotografieren.

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Es folgen flache Wege. Heidekraut überzieht die Landschaft. Wir sehen die ersten hohen Eukalyptusbäume, die typisch für diese Gegend sind. Kurz vor Palas de Rei sehen wir freundliche Häuser mit herrlichen Vorgärten. Schließlich sind wir am Ziel. In der „Casa Benilde“ werden wir freundlich empfangen. Während der Begrüßung stimmen wir dem Chef der Rezeption aus Höflichkeit zu als er uns verkündet, dass Spanien die Fußballweltmeisterschaft gewinnen wird.

Wenig später stehen wir unter der Dusche, waschen unsere verschwitzte Wäsche und unternehmen einen Bummel durch den Ort. Beim Abendessen treffen wir den Dänen aus Kopenhagen mit seinem Sohn wieder. Der Vater bestellt sich ein großes Bier und einen Toast, sein Sohn sieht sich im Fernsehen Comics an und verschlingt dabei eine Portion patatas fritas. Es scheint, der Kleine fühlt sich wohl und genießt den Camino auf seine Weise. Unerwartet taucht plötzlich Marion aus Stuttgart auf. Sie erzählt uns, dass ihre Zehen seit Tagen ramponiert sind. Um überhaupt noch einen Schritt vor den anderen setzen zu können, hat sie sich „Fingerhüte“ darüber gestülpt.

Es ist 21 Uhr. Auf dem Weg zur Unterkunft gehen wir noch in einen Supermercado. Hier treffen wir den Chef der Rezeption der Casa „Benilde“ wieder. Auch hier ist er der Chef ! Wir kaufen bei ihm Weißbrot, Agua Mineral, etwas Käse und einige Müssli-Riegel. Er empfiehlt uns eine gute Flasche Rotwein. Wir kaufen sie, trinken sie am gleichen Abend noch aus.

Samstag, 3. Juni 2006

Von Palas de Rei nach Arzua Calzadas und Corredoiras 28,300 km – 40.411 Schritte – 2.518 k/cal

Der Chef der Rezeption gegrüßt uns um 7.30 Uhr zum Frühstück. Er serviert uns das beste, bekömmlichste und vielfältigste, das wir bisher auf unserer Wanderung bekommen haben : frisch gepressten Orangensaft, Obst, Müssli, Frosties, Kaffee, Tee, Milch, Marmelade, Käse, Wurst und erstmalig auch köstliches Roggenbrot. Wann hat er eigentlich geschlafen, fragen wir uns. Sein Supermercado war gestern bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet, heute ist er seit sechs Uhr im Dienst.

Wir haben heute neunundzwanzig Kilometer vor uns, angeblich flaches, bequemes Gelände. Aber uns erwartet ein Auf- und Ab auf unterschiedlichsten Wegen : Steine, Geröll, Waldboden, Teerstrasse. Und wieder unerträgliche Hitze. Wir erreichen ein Feuchtgebiet, Trittsteine führen hindurch. Nach dem Dorf San Xullan sehen wir wieder die horreos, die typischen galizischen Maisspeicher auf Stelzen. Am Ortsausgang von Pallota passieren wir erneut einen Waschplatz.

Der Weg zieht sich in die Länge, die angegebenen Entfernungen bis Santiago de Compostela widersprechen sich. Uns fällt auf, dass wir fast allein gehen, sehen kaum andere Pilger und fragen uns, wo sie geblieben sind. Gehen wir zu schnell, zu langsam ? Wir wissen es nicht. Auf etwa halbem Weg machen wir in Menilde eine kurze Rast, kommen danach durch einen kleinen Eukalyptuswald, gehen an Wiesen und Feldern vorbei, hinein in das Bachtal des Rio Valverde. Danach quälen wir uns auf einem mühseligen Anstieg nach Peroxe, erfrischen uns an einem Brunnen, der sein Wasser aus dem Rio Valverde erhält.

Wir reden erstmals über das baldige Ende unserer Wanderung. Trotz aller Unannehmlichkeiten, aller Strapazen und dem Verzicht auf viele Gewohnheiten des normalen Alltags zuhause verdränge ich den Gedanken an das kommende Ende des Pilgerweges, möchte mich damit eigentlich gar nicht befassen. Kaum zu glauben, aber die Einzigartigkeit des Camino hält mich gefangen.

Gegen 15.30 Uhr ereichen wir das Hostal „El Retiro“ in Arzua. Das Thermometer zeigt angenehme 28 Grad.

Bilder vom Tage :

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Sonntag, 4. Juni 2006

Von Arzua nach Pedrouzo Die ungeduldige Etappe 22,100 km – 31.548 km – 1.966 k/cal

Wir gehen die vorletzte Etappe des Weges. Neunzehn (!) Orte werden wir heute kennen lernen. Gleich am Ortsausgang von Arzua wechseln wir von einer geteerten Gasse auf einen Sandweg. Dieser Weg ist angenehm. Wir kommen durch kleine Täler und sehen die ersten Bauerndörfer. Manche von ihnen haben nicht mehr als drei landwirtschaftliche Höfe. Ein Eichenwald gibt uns anschließend ausreichend Schatten gegen die erneut extreme Hitze.

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Wenig später treffen wir den kleinen Giovanni mit seinem Vater wieder. Beide haben einige Zeit dort Rast gemacht, wo wir jetzt Gleiches tun wollen. Wir füllen unsere durstigen und verschwitzten Körper mit Agua Mineral auf, Essen ein Stück Weißbrot dazu und gehen weiter. Nach einigen Kilometern sehen wir das Ehepaar aus Dresden wenige hundert Meter hinter uns. Wir erwarten, dass sie uns bald einholen, aber wir verlieren uns wieder aus den Augen.

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Schon gegen fünfzehn Uhr kommen wir in Pedruzo an. Im Hostal Compas erleben wir eine böse Überraschung. Unsere vorbestellte Unterkunft ist erst für den morgigen Tag notiert. Wir hören Entschuldigungen für das Versehen, bekommen gratis Erfrischungsgetränke, aber kein Bett zum Schlafen. Also machen wir uns in sengender Hitze auf Suche nach einer Bleibe für die Nacht. Es scheint aussichtslos zu sein. Wir überlegen, bis zum nächsten Ort weiter zu gehen. Ich mache einen letzten Versuch, gehe in eine kleine Seitenstrasse und finde tatsächlich die Pension Rua Nova. Ein kurzes Gespräch mit dem Personal der im gleichen Hause befindlichen Bar, zehn Minuten später kommt die Eigentümerin mit dem Auto angefahren und zeigt uns die Räume, die in der kommenden Nacht uns gehören werden.

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Wir sind zufrieden und verbringen einen fröhlichen Abend in der unter unseren Räumen liegenden Bar.

Montag, 5. Juni 2006

Von Pedrouzo nach Santiago de Compostela Die letzte Etappe auf dem Pilgerweg 22,980 km – 32.839 Schritte – 2.046 K/cal

Der Jakobsweg, jenseits der touristischen Pfade, durch Dörfer, durch Landschaften, ist ein persönlicher, innerer Weg. Santiago ist das Symbol dieses Weges. Er ist einzigartig.

Wir verlassen Pedrouzo und erreichen nach etwa zwanzig Minuten San Anton. Es folgt ein großes Waldgebiet, wir genießen den Schatten der großen Eukalyptusbäume. Die Wegstrecke ist heute leicht zu gehen, vielleicht auch deswegen, weil unsere Ankunft naht. Plötzlich Fluglärm. Hinter den Bäumen am Rande des Waldes taucht der Flughafen von Santiago de Compostela auf. Die Landeschneise verläuft parallel zu unserem Weg. Wir stehen wenig später vor dem Verkehrskreisel Cruce de Castrofeite, queren eine mehrspurige Schnellstrasse und kommen nach San Marcos-Monte. Ein letztes mal machen wir Rast, genau wie viele andere Pilger auch. Wasserflaschen werden aufgefüllt, eine Kleinigkeit gegessen, ein paar Worte gewechselt und weiter geht´s. Nach einer halben Stunde passieren wir das Gelände des galizischen Fernsehens, wenig später tauchen vor uns riesige hässliche Containerbauten aus Beton auf. Wir erfahren, dass diese zum Papstbesuch 1989 aufgestellt wurden.

Endlich Santiago ! Am Ortseingang sehen wir den Pabellon de Galicia, einen hochmodernen Informationspalast, in dem es eine Menge über Galicien und den Jakobsweg zu erfahren gibt. Wir gehen weiter stadteinwärts, versuchen vergeblich die Türme der Kathedrale auszumachen. Statt dessen sehen wir mehrgeschössige Wohnblocks, große Geschäftshäuser und breite Strassen mit Auto- und Straßenbahnlärm. Wenig später erreichen wir die Altstadt mit Klöstern, Kirchen und kirchlichen Verwaltungsbauten. Im Stadtführer lese ich, dass es hier 46 Kirchen mit 114 Glockentürmen gibt.

Und dann taucht sie endlich auf, die Kathedrale von Santiago de Compostela, mit barocker Fassade und romantischem Innenleben, eines der bedeutendsten Pilgerziele der Christenheit. Wir sind beeindruckt. Und wir sind glücklich es geschafft zu haben, reichen uns die Hände. Alle Strapazen der letzten 22 Tage sind vergessen. Noch mit Rucksäcken gehen wir in das Innere der Kathedrale. Manfred zündet eine Kerze an, er nennt mir seinen Grund dafür, ich behalte ihn für mich.

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Im Pilgerbüro legen wir anschließend unsere Pilgerausweise (Credential del Peregrino ) vor. Freundliche Mitarbeiterinnen prüfen, ob die Eintragungen von unterwegs darin vollständig sind. Voller Freude nehmen wir anschließend die „Compostela“, die Urkunde über das Geschaffte, entgegen.

Wir bummeln durch die Stadt, sie vermittelt uns eine faszinierende Atmosphäre, eine tolle Stimmung. Die Fröhlichkeit der zahlreichen Pilger aus vielen Ländern dieser Erde , die genau wie wir heute ihr Ziel erreicht haben , trägt wesentlich dazu bei. Auch des Wetter spielt mit. Zum letzten mal sehen wir viele Pilger, denen wir schon unterwegs begegnet sind. Wir unterhalten uns ein letztes mal mit einigen von Ihnen, geben uns die Hände, verabschieden uns, auch von Marion aus Stuttgart und dem Ehepaar aus Dresden.

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Spät am Abend resümieren wir noch unter freiem Himmel, Manfred bei einem Gas Rotwein, ich bei einem köstlichen spanischen Pils. Ich kann noch nicht realisieren, dass der Camino zuende ist, will ich mich in die morgige Etappe einlesen. Manfred macht mich schnell darauf aufmerksam, dass sie nur zum Flughafen führen wird ............................

Bilder vom Tage aus Santiago de Compostela :

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Dienstag, 6. Juni 2006

Pilgermesse in der Kathedrale

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Heute schlafen wir länger als sonst. Wir packen unsere Rucksäcke, stellen sie in der Pension ab und gehen zum frühstücken in die Stadt. Um zwölf Uhr sitzen wir in der Kathedrale. Mit uns alle Pilger, die gestern oder heute Vormittag in Santiago de Compostela angekommen sind. Die Pilgermesse wird zum feierlichen Höhepunkt einer gemeinsamen Zeit auf dem Camino. Einer der fünf Priester, der die Messe mitgestaltet, verliest die Namen derer, die ihre Compostela bekommen haben. Ich bin ergriffen als ich auch meinen Namen höre. Nach einem gemeinsamen Gebet reichen wir uns alle die Hände, umarmen uns und gehen auseinander.

Eine schöne Zeit ist zuende. Die Mühen des Weges sind fast vergessen, es bleibt das Glücksgefühl, das Ziel erreicht zu haben.

Wir holen unsere Rucksäcke aus der Pension, rufen ein Taxi und lassen uns zum Flughafen fahren.

Nicht nur Manfred und ich, auch meine beiden Hüftprothesen haben die Wanderung schadlos überstanden. Danke hierfür den Ärzten und dem Pflegepersonal der Klinik Seepark in Debstedt.

Zusammenfassung:
Wir sind 22 Tage mit ständig ca. 12 kg Rucksackgepäck auf dem Jakobsweg gepilgert. In dieser Zeit haben wir 517,130 km oder auch 738.805 Schritte zurückgelegt, 46.030 k/cal. verbraucht und unser Körpergewicht um einige Kilogramm reduziert.